Welche Aussagekraft haben Jobtitel in Bezug auf Kompetenzen? Genau, eher wenig! Dieser Tage kann man ohnehin das Gefühl bekommen, dass die Titelinflation kaum noch aufzuhalten ist. Deswegen ist der Fokus auf Kompetenzen um so wichtiger. Doch Arbeitgeber seit je her extrem schwer das komplette Skillset ihrer Mitarbeiter:innen zu kennen. Dafür verändern sich Kompetenzen viel zu häufig und zu schnell. Meist scheitert ein kompetenzbasierter Ansatz schon daran, dass Unternehmen gar nicht genau beschreiben können, welche Skills sie heute geschweige denn in Zukunft benötigen. Ein Startup, dass hier Abhilfe schaffen will, ist Skillties. Im Rahmen meiner allyance-Interviewreihe hatte ich die Möglichkeit mit Leonard Zenouzi sprechen zu können.
Hey, Leonard! Schön, dass du die Zeit für dieses Interview gefunden hast. Stell‘ dich doch kurz den Leser:innen vor und sag uns, was du beruflich so machst.
Ich bin Mitgründer von Skillties und verantworte dort die Bereiche Finanzen, Vertrieb und Marketing. In den letzten Jahren habe ich außerdem Fr immer an der Schnittstelle zwischen HR und Tech gearbeitet.

Was genau ist Skillties und welches Problem soll das Produkt dahinter lösen?
Es gibt eine Vielzahl von globalen Entwicklungen wie zum Beispiel den Fachkräftemangel, VUCA und Lebenslanges Lernen, die Unternehmen immer stärker dazu drängen, das klassische und starre Modell von Jobtiteln aufzuweichen. Stattdessen werden neue Ansätze verfolgt, bei denen die Beschäftigten hinsichtlich ihres gesamten Spektrums an Skills und Bedürfnissen betrachtet werden. Dies führt zu einer höheren Agilität, da Mitarbeitende zielgerichteter eingesetzt, entwickelt und rekrutiert werden können. In der Praxis ist das Verwalten von unzähligen Skill-Profilen mit Tausenden, teils sehr unternehmensspezifischen, Skills und den dazu passenden Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten ein gewaltiges Datenproblem. Skills müssen gefunden und in Relation gesetzt werden, es gibt Synonyme, Dopplungen und ständige Aktualisierungen. Das ist sehr komplex und daher scheitern die meisten Unternehmen auch an der Transformation zu einer skill-basierten Organisation.
Wir haben daher eine KI bzw. eine komplette Skill Management Software zur Lösung dieses Problems entwickelt. Außerdem gehen wir noch einen Schritt weiter und können nicht nur die Skills innerhalb eines Unternehmens managen, sondern auch individuelle Lernempfehlungen für jede:n Mitarbeiter:in aussprechen.
Wir nehmen also nicht nur der HR-Abteilung und den Führungskräften viel Arbeit ab, sondern bieten auch allen Mitarbeitenden einen transparenten Anreiz zur Weiterentwicklung.
Unternehmen haben ja häufig die Schwierigkeit, dass sie meist gar keinen Überblick darüber haben, welche Fähigkeiten ihre Mitarbeiter:innen in Summe mitbringen. Viele Talente bleiben dabei vermutlich für immer unentdeckt, weil bestimmte Skills für den aktuellen Job gar nicht abgerufen werden. Welchen Lösungsansatz verfolgt ihr dabei, dieses Potenzial zu heben?
Ja, das ist richtig! Wir sprechen immer von “hidden Skills” und es stellt eine große Herausforderung in der HR dar, diese zu identifizieren. Denn ohne ein vollständiges 360-Grad-Skillbild des eigenen Unternehmens, gibt es viele ungenutzte Anwendungsfälle, insbesondere im internen Recruiting und in der Projektbesetzung. Die Skillties KI löst dieses Problem, indem die KI auch Skills, die ein:e Mitarbeiter:in haben könnte, vorausahnt. Das System sendet dann automatisch per E-Mail oder MS-Teams eine Umfrage und fragt: “Wie gut schätzt du dich in diesem oder jenem Skill ein?”
Wie aktuell sind die Informationen dann, die von Mitarbeiter:innen im Rahmen der Surveys erhoben werden?
Jede unserer Surveys wird komplett individuell zugeschnitten und fragt nach relevanten Skills für zugewiesene Skill-Profile sowie den zuvor erwähnten hidden Skills. Die Skill-Daten erhalten wir durch unsere eigene KI, die sowohl interne als auch externe Lerninhalte, z.B. alle Podcasts oder ausgewählte Blogs, liest bzw. hört und daraus automatisch eine sogenannte Skill-Ontologie, also eine umfassende Skill-Datenbank, erstellt. Durch diese permanente Analyse ist unsere Skill-Datenbank auch immer auf dem neuesten Stand und kann sogenannte Future Skills bereits heute ableiten.
Wenn ich mich zukünftig darauf konzentriere, wer die besten Skills für ein bestimmtes Projekt mitbringt, wie kann ich dann gewährleisten, dass die vermeintliche zweite Reihe auch in den Genuss kommt, sich an Projekten zu beteiligen und dadurch bisher fehlende Skills zu erlernen?
Ich frage dich mal andersherum: Wenn du dich, wie bisher, darauf konzentrierst, wer aufgrund seines Jobtitels am besten für ein Projekt geeignet ist, wie kannst du dann gewährleisten, dass jemand mit einem anderen Jobtitel auch in den Genuss kommt? Eines ist klar: Jobtitel schränken die interne Mobilität stark ein und schaffen keine Transparenz. Mit Skills kommst du hier viel weiter!
Welche weiteren Ansätze verfolgt ihr, dass weitere Skills erlernt werden können?
Ich möchte an dieser Stelle ein wenig weiter ausholen. Bislang ist mir kein größeres Unternehmen bekannt, das genügend Ressourcen hat, um die individuelle Weiterentwicklung all seiner Mitarbeiter:innen umfassend zu organisieren. Schau dir nur mal an, wie viele Mitarbeiter:innen auf eine einzige Fachkraft in der Personalentwicklung angewiesen sind. Wie soll eine einzelne Person all diese Kolleg:innen individuell unterstützen?
Ich bin zudem skeptisch, dass die Beteiligung von Führungskräften an diesem Prozess eine Lösung darstellt. Die Gründe, warum das nicht funktioniert, sind vielfältig. Ich möchte hier aber nur zwei hervorheben: Führungskräfte ohne spezifisches Fachwissen und das tägliche operative Geschäft. Wir müssen akzeptieren, dass Up-Skilling und Re-Skilling mit den bestehenden Strukturen im Personalbereich nicht effektiv umgesetzt werden können. Die Aufgabe ist schlichtweg zu groß und die Mittel zu begrenzt. Genau hier setzen wir an: Wir kuratieren automatisch alle Lerninhalte für jede:n Mitarbeiter:in – von umfangreichen Wochen-Seminaren bis hin zu kurzen Podcasts.
Diese individuelle Kuratierung basiert auf den persönlichen Skill-Gaps, Lernpräferenzen, Budgets, Standort und vielem mehr. Das heißt, wir automatisieren Prozesse, die im aktuellen HR-Bereich nicht effizient gehandhabt werden können. Damit entlasten wir auch die Führungskräfte.
Woher nehmt ihr dann das Wissen, welche Fähigkeiten es braucht und wie wird ein Lernpfad am besten kuratiert?
Lass mich die Frage sowohl technisch als auch fachlich beantworten. Beginnen wir mit der technischen Antwort: Hierbei sind zwei zentrale Konzepte von Bedeutung: Skill-Ontologie und Skill-Taxonomie. Eine Skill-Ontologie ist ein Wissensmodell, das Skills in einer strukturierten Weise darstellt. Es ermöglicht, ähnliche Skills zu verknüpfen und Beziehungen zwischen verschiedenen Skills zu identifizieren. Im Gegensatz zur Skill-Taxonomie, die Skills lediglich in einer hierarchischen Struktur organisiert, erlaubt eine Ontologie komplexere Beziehungen zwischen Skills und kann detailliertere Einblicke in die Dynamik und das Zusammenspiel bestimmter Skills bieten. Wir verwenden eine Skill-Ontologie und kennen daher die Wechselwirkung von Skills untereinander. Allerdings ist unsere Datenbank vermutlich die modernste Skill-Ontologie weltweit, da wir nicht nur Skills abbilden, sondern auch Lerninhalte ontologisch darstellen. Als Ergebnis haben wir ein Datenmodell erstellt, das auch die Dynamik und Beziehungen zwischen Skills und Lerninhalten widerspiegelt. Das ist nach unserem Stand einmalig!
In der Praxis bedeutet dies Folgendes: Angenommen, du fragst dich, welche Skills ein:e Laborassistent:in in deinem hoch-spezifischen Pharmaunternehmen mitbringen sollte. Skillties unterstützt dich dann mit einem digitalen Assistenten und du kannst in fünf Minuten ein unternehmensspezifisches und komplexes Skill Profil erstellen. Im Anschluss erfolgt das Mapping der Skills durch die Mitarbeitenden. Die Software berechnet dann die Skill Gaps und schlägt aus Tausenden von Inhalten passende Lernvorschläge vor. Alles vollautomatisch!
Würdest du so weit gehen und sagen, dass Unternehmen ihre langfristige Businessstrategie mit eurem Lösungsansatz ausrichten können?
Skills sind die zentrale Messgröße, um ganze Organisationen zu modellieren. Mit Skillties kannst du allerdings nicht nur diese Modellierung durchführen, sondern auch die damit gesetzten Ziele umsetzen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist folgendes: Angenommen, du setzt dir das Ziel, dass in 2 Jahren 80 % einer bestimmten Abteilung über agile Skills verfügen sollen. Dann definierst du das als Ziel und Skillties erfasst die Skill-Levels der Mitarbeiterinnen, holt Feedback von Kolleginnen und Kollegen ein und empfiehlt individuelle Lerninhalte gemäß Budgetvorgabe. Wieder alles vollautomatisch!
Ihr habt mit edding aktuell einen Partner an eurer Seite, der euch als Pilot zur Verfügung steht. Wie sehen die Zusammenarbeit und das Projekt da ganz konkret aus?
Bei edding ist man sich bewusst, dass es nicht ausreicht, einfach Skills festzuhalten, sondern dass man auch unverzüglich den Schritt in die skills-basierte Fort- und Weiterbildung gehen muss. Wir bauen für edding die Software im Rahmen eines Beta-Programms weiter aus und erhalten dafür sehr spannende Perspektiven aufgezeigt. edding profitiert hingegen von einer Software, die stark auf ihre Anforderungen ausgerichtet ist.
Wie sehen denn die Pläne für Skillties in den nächsten Monaten aus? Habt ihr da schon konkrete Pläne, wie es weitergeht?
Insbesondere größere Unternehmen haben in der HR eine One-Portal-Strategie und Skillties hat eine sehr gute API-Middleware, so dass alle Funktionen auch in Lösungen wie SAP SuccessFactors abbildbar sind. Wir werden in diesem Bereich ein Projekt anschieben.
Lieber Leonard, vielen Dank für die spannenden Einblicke. Ich hoffe, wir werden auch in Zukunft noch viel von euch und Skillties hören!
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