„Wir können Betreuungslücken füllen und Mitarbeiter:innen mit Care Themen entlasten“ – Auf ein Wort mit Julia Kahle von heynanny

Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein alter Hut. Könnte man meinen. Schließlich beschäftigt sich HR bereits seit vielen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten damit, familienfreundliche Rahmenbedingungen für Mitarbeiter:innen zu schaffen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber gleichermaßen versucht Fakten zu schaffen und gesetzliche Ansprüche auf Kita-Plätze & Co. schafft, die es jungen Familien – und vor allem Frauen – einfacher machen soll, ihre Karriereziele weiter zu verfolgen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr sein soll als eine Worthülse. Doch die Realität zeigt weiterhin, dass es massiven Bedarf gibt und Unternehmen noch lange nicht dort sind, wo sie sein könnten. Eine, die sich aufgemacht hat, eine Lösung für Betreuungsprobleme zu schaffen ist Julia Kahle von heynanny. Im Rahmen meiner kleinen alllyance-Interviewserie hatte ich die Gelegenheit mit ihr zu sprechen.

Hallo, Julia! Schön, dass du die Zeit für dieses Interview gefunden hast. Stelle dich doch kurz den Leser:innen vor und sag uns, was du beruflich so machst.

Hey, ich bin Julia – 40 Jahre alt, Skorpion, zwei Kinder, Lieblingstier: Schmetterling. 😉 Seit mehr als 15 Jahren Feuer und Flamme für HR und seit zwei Jahren von der Konzernseite in die Startup-Welt „übergetreten“. Von meiner letzten Funktion als Employer Branding und Recruiting Head zu meiner jetzigen Position als CEO & Co-Founderin eines HR-Tech Startups war es am Ende gar nicht so weit. Unser Arbeitgeberbenefit für Wellbeing und Mitarbeiterbindung schließt im Grunde ziemlich genau wieder bei HR dort an, wo ich mal raus bin. 

Wie seid ihr auf die Idee gekommen heynanny zu gründen? Was hat es eigentlich mit dem Namen auf sich?

Dazu muss man wissen, dass wir zu zweit sind. Zwei HRlerinnen aus sehr verschiedenen Bereichen, Branchen und Lebensumständen, die sich quasi über den Case und eine Portion Extra-Schicksal in einem fantastischen Netzwerk über den Weg gelaufen sind. Meine Mitgründerin Anna hat keine Kinder. Sie war aber als HR Director in der Hotelbranche in verschiedenen Ländern aktiv und dort auch immer nebenbei als Babysitterin engagiert.

Dabei ist ihr aufgefallen, wie toll der Job eigentlich ist und wie schwierig zu gleich die Bedingungen sowie die Kontakte zu suchenden Familien sind. Nichts digital, nichts versichert. Dazu kam der Turnover der Hotelbranche und die massiven Recruiting-Herausforderungen – sprich: Arbeitnehmerlosigkeit. Ich kenne ja die Seite als arbeitende Mutter ohne Familie nebenan und den ganzen Challenges. Wir haben dann zusammen einen Business Case aufgebaut, ein Portal für geprüfte, versicherte Nannys entwickelt und von Anfang an massiv getestet.

Seit letztem Jahr sind wir mit namhaften Brands und tollen Unternehmenskunden fest am Markt etabliert. Mit dem Namen haben wir jetzt im finalen Rebranding (von heynannyly zu heynanny) aus unserer Sicht alles auf einen Punkt gebracht:  Ein schwedisches Hey für alle – wir sind das Benefit für Blue und White Collar, Lagerarbeiter:innen und Mitarbeiter:innen aller Branchen. Und genau das wollen wir auch sein. Kein Luxus, sondern ein Must-Have Benefit. Nannys sind dabei alle liebevollen Betreuer:innen für Kinder und Senioren, kurzfristig buchbar und regelmäßig als zusätzliches Support-System an Randzeiten, Schichtzeiten und wenn einfach mal wieder was ungeplantes passiert.

Du hast nach rund fünfzehn Jahren deinen mehr oder weniger sicheren Job bei DB Schenker an den Nagel gehangen. Du bereust das vermutlich keine Sekunde, oder?

Ganz offen gesagt – ich wäre jetzt noch dort in dieser echt großen Komfortzone, hätte mich nicht die Pandemie aufgeschreckt. Coronabedingt war ich plötzlich -wie so viele- betreuungslosen Kindern und parallel einer Masse an Teams-Calls ausgesetzt und habe es nicht unter einen Hut bekommen. Das war zu viel. Stichwort: Mental Load.

Ich habe auf meinen Bauch gehört und meine Kündigung geschrieben. Sechs Monate Kündigungsfrist erschienen mir so lange, dass ich nicht erst suchen und entscheiden konnte, was ich danach machen will. Und dann kam Anna mit genau dem Thema, das mich jahrelang Nerven gekostet hat. Diese Chance musste ich einfach ergreifen.

Wie würdest du eure Reise seit der Gründung beschreiben? Würdest du denselben Weg wieder gehen?

Zwei Jahre sind jetzt echt geflogen und ich habe unfassbar viel gelernt. Ob etwas erfolgreich wird oder nicht, kann man zu Beginn ja nicht wissen und trotzdem arbeitet man viel bei wenig bis keinem Income. Die vielen Nachrichten bei LinkedIn und Feedbacks von Eltern, Kunden und auch Investoren haben uns aber schnell Mut gemacht, dass jetzt genau die richtige Zeit für das Thema ist. Moderne, echte Benefits – keine leeren Angebote, nur um sagen zu können „wir sind familienfreundlich“ und einen völlig neuen Hebel für Retention und Recruiting. Und ja, ich würde es nochmal machen!

Wie trägt eure Plattform dazu bei, Arbeitgeber und ihr Arbeitsumfeld attraktiver zu gestalten?

Wir schließen mit unserem Arbeitgeberbenefit die Betreuungslücken der Mitarbeiter:innen und unterstützen sie im privaten Care-Bereich, um „den Kopf und Mensch“ zu entlasten. Unter Betreuungslücken verstehen wir alle unbetreuten Zeiten unserer Kinder oder auch unserer pflegebedürftigen Eltern, die am Ende bei uns für mentalen Stress, organisatorische Hürden und auch dafür sorgen, dass wir unseren Job nicht mehr (vollumfänglich) machen können.

Das klassische Beispiel ist aktuell der morgendliche Anruf vom Kindergarten, der heute geschlossen hat. Das ist leider schon zur Normalität geworden und kostet Unternehmen Millionen durch den Personalausfall und eine geringere Produktivität. Dafür gibt es mit unserem Nanny-Portal für kurzfristige und regelmäßige Betreuung endlich die Lösung. Unser Employee-Self-Service wird direkt von den Mitarbeiter:innen genutzt, die sich ein individuelles Betreuungssystem aufbauen können. Unternehmen können die Betreuung dann sogar mit Steuervorteilen noch bezuschussen. Mehr Arbeitgeberattraktivität geht aus unserer Sicht nicht. Dazu kommt, dass wir schon erste Zahlen und Rückmeldungen haben, was es im Recruiting ausmacht, wenn unser Siegel neben der Jobbeschreibung platziert wird. 

Wie werden die Nannies auf eurer Plattform ausgewählt? Gibt es dort eine bestimmte Form von Qualitätssicherung?

Die Auswahl ist quasi unser HR-Tech Herz und das was uns neben all der Flexibilität und dem B2B-Ansatz unterscheidet. Sicherheit und Vertrauen sind aus unserer Sicht die Kernelemente, wenn man Services für Menschen – insbesondere Kinder und Senioren schafft. Bei uns wird wirklich alles geprüft – von der ID, über Referenzen, wie das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis und Erste Hilfe-Zertifikate. Gerade Erste Hilfe ist uns extrem wichtig. Daher haben wir auch eine Kooperation mit den Johannitern, über die unsere Nannys extra für Erste Hilfe am Kind geschult werden. Durch Bewertungen und Feedbacks der Kunden halten wir dann auch die geprüfte Qualität im Portal oben.

Welche Unternehmen zählen denn typischerweise zu euren Kunden und wie sieht so eine Zusammenarbeit mit euch aus?

Wir sind branchen- und größenunabhängig für Unternehmen relevant. Klar helfen uns tolle Brands wie Johnson & Johnson, Trivago, AXA, TÜV Süd oder die Pilotierung bei der DB für die Sichtbarkeit. Wir stehen aber ganz bewusst auch dafür, dass wir für alle verfügbar sein wollen. Wir haben beispielsweise extra Angebote für Startups und mittelständische Unternehmen. Der Vorteil ist hier, dass wir nicht nur in den Metropolen zu finden sind, sondern wie bei Boehringer Ingelheim am Bodensee in durchaus sehr ländlichen Gebieten Pipelines aufbauen können.

Unser Benefit-Pauschalpreis ist bei 12-monatiger Nutzung einmalig fällig. Dann bekommen die Mitarbeiter:innen unserer Kunden einen Zugangscode zum Self-Service und buchen eigenständig. Über das HR-Dashboard bezuschussen die Unternehmen optional die Nanny-Stunden. Beim Onboarding und auch bei der internen Bewerbung des Benefits helfen wir mit Employer Branding Material, Onboarding Calls und einem tollen Customer Happiness Team. Auf den Punkt gebracht: Wir verursachen wenig Aufwand, sind finanzierbar und für die Mitarbeiter:innen am Ende ein Gamechanger.  

Ist das Thema Vereinbarkeit nicht mittlerweile ein alter Hut? Schließlich wurden all die Themen rund um Familie und Beruf bereits Mitte der 2010er Jahre auf allen Konferenzen und Kongressen hoch und herunter besprochen. Unternehmen sollten doch mittlerweile alle notwendigen Maßnahmen etabliert haben. Wie schätzt du die Realität ein? 

Es gibt sie in der Tat – die Unternehmen, die noch Maßnahmen von 2010 implementiert haben und diese nicht reviewen. Veraltete und ungenutzte Familienservices werden in der Regel dem Thema direkt zugeordnet. Lösen aber aus unserer Sicht nicht die individuellen Bedarfe und sind nicht mehr zeitgemäß. Wer nimmt denn noch einen Telefonhörer in die Hand oder wartet drei Wochen darauf, dass er einen Vorschlag für eine Babysitterin bekommt? Die finanzielle Abrechnung und auch die Steuervorteil-Nutzung ist dabei für die Unternehmen mit ordentlichem Aufwand verbunden, so dass es gleich keiner macht. Digitale Buchbarkeit, echte und geprüfte Betreuung und messbare Nutzung – so geht das mit uns.

Welche Rahmenbedingungen müssen denn aus deiner Sicht von der Politik aus dringend verändert werden, damit sich die Situation für Eltern in Deutschland verbessert? 

Wir können Betreuungslücken füllen und Mitarbeiter:innen mit Care Themen entlasten – was wir nicht können und wollen, das ist sämtliche Kindergärten und Pflegeheime zu ersetzen. Und von diesen inklusive des ausgebildeten Personals fehlt es an allen Ecken und Enden. Allein 400.000 fehlende Kita-Plätze in Deutschland machen das Problem deutlich. Hier muss dringend seitens der Politik ein Change eingeläutet werden – sehr viel bessere Gehälter, attraktivere Rahmenbedingungen für diese Berufsgruppen und der Ausbau der Infrastruktur. Da sprechen wir dann noch nicht davon, dass die Betreuungszeiten flexibler sein müssen und Angebote für Kinder z.B. nicht schon um 14 Uhr enden dürfen. Private Einrichtungen nur für Reiche halte ich auch nicht für gesellschaftlich förderlich. Und zwölf Wochen Schulferien übers Jahr verteilt nicht arbeitnehmerfreundlich. Mein Blick geht immer nach Skandinavien. Dort gibt es ausreichend hochwertige Betreuung zu kleinen Kosten und sie hat einen anderen Stellenwert.  

Ihr habt mit heynanny zuletzt den Startup of the Year Award sowie den HR Startup Award Sonderpreis erhalten. Außerdem war zu lesen, dass ihr in der letzten Finanzierungsrunde 1,6 Millionen Euro einsammeln konntet. Wie sehen da die Pläne für die Zukunft aus?

Sieht gerade nicht schlecht aus. 😉 Spaß beiseite, wir haben einiges vor. Neben der Portfolio-Erweiterung, die wir gerade mit Elderly Services an den Start bringen, arbeiten wir am Ausbau über die deutschen Grenzen hinaus. Für Österreich kann man sich schon auf die Warteliste setzen lassen und auch das Team sowie das Produkt wachsen gerade enorm. Damit wir die vielen Kundenanfragen bestens bearbeiten können, haben wir inzwischen ein tolles Sales Team, das gerne individuell berät und auch betreut. Wer also Interesse hat, einfach melden!

Das hört sich doch vielversprechend an. Liebe Julia, vielen Dank für die spannenden Einblicke. Ich hoffe, wir werden auch in Zukunft noch viel von euch und heynanny hören!

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