Time-to-hire: Warum die Kennzahl als alleinige KPI noch keinen Recruitingprozess besser macht

Kennzahlen, die ihren Blick auf die Dauer von Bewerbungsprozessen richten, haben eine hohe Aussagekraft zur Optimierung der Candidate Experience. Denn aus Sicht der Kandidaten kann die Antwort des Recruiters nicht schnell genug kommen. Außerdem sind Kennzahlen mit zeitlichem Bezug ein guter Indikator, um die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit von HR- und Recruiting-Teams zu bewerten. Doch macht eine niedrige Time-to-hire den gesamten Recruitingprozess auch gleich besser?

Wie wird die Time-to-hire gemessen?

Die Time-to-hire gibt die Anzahl der Tage zwischen dem Moment wieder, in dem die Stelle ausgeschrieben oder ein Kandidat angesprochen wird und dem Moment, in dem die Wahl auf den Kandidaten fällt, er das Angebot annimmt oder er den Vertrag unterzeichnet zurücksendet. Mit anderen Worten: Es wird die Zeit gemessen, die jemand benötigt, um den gesamten Bewerbungsprozess zu durchlaufen.

Diese Kennzahl ist somit ein guter Anhaltspunkt dafür, wie das Hiring Team (= Recruiter + Hiring Manager) vorgeht. Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Definition der Time-to-hire zeigen jedoch, dass diese je nach Unternehmen unterschiedlich interpretiert wird. Alternativ wird wird die Time-to-hire auch als Time-to-accept bezeichnet.

6 Ursachen, warum die Time-to-hire zu hoch ist

Wenn wir uns den End-to-End-Prozess im Recruiting vom Entwurf der Stellenausschreibung bis hin zur Einstellung anschauen, dann kann es natürlich viele Ursachen geben, die dazu führen, dass der Prozess insgesamt zu lange dauert:

  1. Geringe Aufmerksamkeit
  2. Zu wenige Bewerbungen
  3. Langsame Recruiter
  4. Langsame Hiring Manager
  5. Schlechte Terminplanung
  6. Lange Entscheidungsfindung

Die Folge ist, dass geeignete Kandidaten abspringen. Schauen wir uns die Ursachen einmal im Detail an:

Ursache 1: Geringe Aufmerksamkeit

Was bringt mir eine Stellenausschreibung, die keiner sieht? Wir senden eine Stellenausschreibung in den Äther und hoffen darauf, dass potenzielle Kandidaten ihren Weg schon von ganz alleine auf die Karriereseite oder die Stellenanzeige finden. Die Auswahl des richtigen Kanal-Mixes (z.B. in Stellenbörsen), der die jeweilige Zielgruppe ansprechen soll, ist also essenziell, um die Time-to-hire so niedrig wie möglich zu halten. Wenn die Aufmerksamkeit in den jeweiligen Stellenbörsen dann nicht ausreicht, kann ich natürlich kurzfristig meine Werbeausgaben erhöhen und versuchen meine Wettbewerber in Sachen Aufmerksamkeit auszustechen.

Wesentlich günstiger und nachhaltiger erscheint dagegen die Suchmaschinenoptimierung der eigenen Karriereseite. Denn der Grund für zu wenig Aufmerksamkeit liegt häufig darin, dass Karriereseiten wegen fehlender Meta-Description, zu hoher Ladezeiten, zu weniger Backlinks, fehlender Überschriftenstruktur, Sicherheitslücken, Rechtschreibfehlern oder dem Ignorieren von Schema-Markups gar nicht erst gefunden werden. Die Aufmerksamkeit kann also nachhaltig erhöht werden, indem die häufigsten SEO-Fehler bei Karriereseiten abgestellt werden.

Ursache 2: Zu wenige Bewerbungen

Wo keine Bewerbung ist, kann auch nichts gesichtet werden. Und wenn der Bewerbungseingang ausbleibt, hat das natürlich auch Einfluss auf die Time-to-hire. Doch woran liegt es, dass die Stellenausschreibung zwar gesehen wird, aber sich kaum jemand bewirbt? Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:

  1. Der Inhalt passt nicht zum Profil
  2. Es gibt technische Probleme

Um den Inhalt der Stellenausschreibung zu verbessern und damit die Conversion zu erhöhen, gibt es vielerlei Anhaltspunkte: Stellentitel, Aufgabenbeschreibung, Qualifikation, Benefits usw. führen häufig dazu, dass sich Kandidaten eher abgeschreckt als angesprochen fühlen. Was im Detail verbessert werden müsste, lässt sich pauschal allerdings nur schwer sagen. Die Devise lautet also Testen und das ganze vor allem aus der Perspektive von Kandidaten.

Technische Probleme werden unmittelbar sichtbar, wenn sich z.B. Kandidaten bemerkbar machen und ein Feedback senden, dass das Absenden der Bewerbung nicht möglich war. Doch auch eine extrem schlechte Conversion-Rate von Besuchern des Bewerbungsformulars deutet auf technische Schwierigkeiten hin. Wer dies vermeiden bzw. überprüfen möchte, sollte sich in regelmäßigen Abständen mit unterschiedlichen Geräten bei sich selbst bewerben.

Ursache 3: Langsame Recruiter

Ist der Bewerbungseingang nun da, kommt es natürlich vor allem auf die Bearbeitungsgeschwindigkeit des Unternehmens in Gänze und der Recruiter im Speziellen an. Das Ziel sollte also unbedingt sein, eingehende Bewerbungen innerhalb weniger Tage gesichtet zu haben und an die Fachabteilung weiterzuleiten. Aus meiner Perspektive sollte die Time-to-screen (als Teil der der Time-to-hire) niemals höher als 5 Tage sein, da Recruiter nahezu täglich den aktuellen Stand ihrer Vakanzen prüfen.

Meistens klappt das ganz wunderbar. Aber manchmal gibt es auch Zeiten, in denen mehr zu tun ist als üblich. Doch jetzt einmal Hand auf’s Herz: Wie lange dauert es denn durchschnittlich eine Bewerbung zu sichten? Exakt, nicht so lange wie es dauert, neue passende Bewerbungen zu generieren. Außerdem kann es nicht sein, dass Bewerbungen tage- oder sogar wochenlang ungesichtet im Eingangskörbchen liegen bleiben.

Hinzu kommt, dass die Zeit häufig verlängert wird, weil Urlaubs- und Vertretungsregelungen nicht geklärt sind. Dafür mag es zwar Gründe geben, aber für Kandidaten ist das irrelevant, wenn sie zur selben Zeit von anderen Arbeitgebern eingeladen und oder besser noch eingestellt werden.

Ursache 4: Langsame Hiring Manager

Ihr kennt das: Ihr habt unter Hochdruck die Stelle veröffentlicht und in alle denkbaren Kanäle distribuiert. Sobald eine neue Bewerbung eingeht, habt ihr sie in Rekordzeit gescreent und an die Fachabteilung weitergeleitet. Doch dann passiert lange nichts. Witzigerweise (oder vielleicht doch eher tragischerweise?) hat dieselbe Führungskraft vor Ausschreibung der Stelle noch bekräftigt, wie hoch die Priorität für die Besetzung dieser Stelle ist. Doch im selben Augenblick wird euch mitgeteilt, dass sie leider momentan keine Zeit hat, um Bewerbungen zu sichten oder gar Interviews zu führen.

Hier beginnt das Paradoxon: Die Stelle muss unbedingt gestern besetzt sein. Aber niemand hat Zeit um Bewerbungen zu sichten oder Interviews zu führen. Das ist ein wenig wie bei Schrödingers Katze, die sowohl lebendig als auch tot ist. Schrödingers Recruiting also. Die Stelle ist zur gleichen Zeit lebensnotwendig für den Fortbestand des Unternehmens und zur gleichen Zeit so unwichtig, dass die Hiring Manager noch nicht einmal ein Paar vorselektierte Bewerbungen sichten können, um Kandidaten anschließend zum Interview einzuladen.

Ein Ansatz, um die Time-to-hire in diesem Kontext zu verbessern, wäre z.B. die Berechnung der Cost-of-vacancy. Dadurch lässt sich darstellen, welcher Umsatz oder welche Produktionsleistung dem Unternehmen entgeht, weil die Stelle nicht oder verspätet besetzt wird.

Ursache 5: Terminplanung

Wann sucht ihr eigentlich nach Terminslots für die Interviews? Sobald ein geeigneter Kandidat gefunden wurde? Das ist natürlich viel zu spät!

Es ist doch immer wieder das gleiche: Es sind nach ein Paar Tagen oder gar Wochen endlich geeignete Kandidaten anhand ihrer Bewerbungen gesichtet worden und das Feedback der Fachabteilung war auch entsprechend positiv, so dass ihr die Termine für Interviews planen könnt. Ihr sucht nun also nach freien Terminoptionen in beiden Kalendern. Doch, oh Wunder, in den nächsten Tagen und Wochen ist nichts mehr zu machen und ihr plant das Interview in einem Zeithorizont, indem eure Wettbewerber ganze Bewerbungsprozesse hinter sich bringen. Die Folge ist, dass eure Kandidaten dann schon längst über alle Berge sind und beim nächsten Arbeitgeber anheuern. Die möglichen Termine sollten daher bereits vor der Veröffentlichung der Stellenausschreibung geplant werden, um die Time-to-hire nicht unnötig zu stressen.

Doch nicht nur das frühzeitige Blocken von Interviewslots, kann die Time-to-hire beschleunigen. Auch die Erhöhung des Service-Levels kann zur schnelleren Terminfindung mit Kandidaten beitragen. So lassen sich beispielsweise relativ simpel die ausgewählten Termine als Self-Schedule bereitstellen. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn ihr mehrere Kandidaten gleichzeitig einladen wollt und die Kandidaten die Termine selbst auswählen sollen. So erspart ihr euch einen unendlich langen Telefon- und E-Mail-Marathon zur Abstimmung der Termine und verbessert gleichzeitig noch die Candidate Experience.

Außerdem können Termine natürlich bei Bedarf oder in Ausnahmefällen zu eher bewerberfreundlichen Zeiten am späten Nachmittag, am Abend oder manchmal sogar am Wochenende angeboten werden. Das erhöht auf jeden Fall das Service-Level und beschleunigt den Prozess ungemein, weil insgesamt mehr Terminoptionen zur Verfügung stehen.

Ursache 6: Lange Entscheidungsfindung

Ihr denkt, nach dem Interview sollte einer schnellen Time-to-hire doch nichts im Wege stehen? Pustekuchen! Auch an diesem Zeitpunkt gibt es noch unterschiedliche Einflussfaktoren, die dazu führen, dass die Zeit bis zur Besetzung der Stelle verzögert wird. Häufig haben die Beteiligten keine Zeit für ein Follow-up, um die Entscheidung zu finalisieren oder sie wollen einfach abwarten, ob sich nicht vielleicht doch noch ein Kandidat findet, der einen Prozentpunkt näher an der (sehr hoch gegriffenen) Stellenausschreibung liegt.

Die Gründe für eine Verzögerung können aber auch daran liegen, dass die Rahmenbedingungen und Konditionen einfach noch nicht vorab geklärt wurden, weil es keinen Prozess dafür gibt oder aber der Prozess zur Vertragserstellung hakt. Egal woran es an dieser Stelle noch hapert, es kann alles im Vorfeld geklärt werden, so dass die Entscheidungsfindung und Angebotserstellung sehr zeitnah nach dem Interview folgen kann.

Das Zwischenfazit bis hierhin könnte also lauten: Wer in seiner Candidate Journey zu lange benötigt, fängt jedes Mal wieder von vorne an.

Welche Aussagekraft hat die Time-to-hire?

Habe ich aber nun alle Einflussfaktoren meiner Time-to-hire analysiert und verbessert, stellt sich nun die Fragen, welche Aussagekraft die KPI als Steuerungskennzahl hat?

Betrachten wir doch folgende Situation: Ich habe zum Ende des letzten Jahres endlich zwei Stellen besetzen können, die als extrem schwer zu besetzen gelten. Beide haben eine Time-to-hire >365 Tage. Mehr als ein Jahr für die Besetzung einer Stelle hört sich jetzt erst einmal nicht so wahnsinnig erfolgreich an. Ist es aber sehr wohl, wenn man sich den Arbeitsmarkt für bestimmte Engpassberufe anschaut. Was wäre auch die Alternative? Die Stelle unbesetzt lassen und irgendwann einstampfen, nur um die Kennzahl niedrig zu halten? Mitnichten. Eine hohe Time-to-hire hat also durchaus Erfolgspotenzial. Es kommt also nicht auf die absolute Zahl in Tagen an, sondern auf die Erreichung des Ziels. Hierfür kann ich natürlich auch Zieldaten je nach Position, Jobfamilie und/oder Standort vergeben und im Nachhinein überprüfen inwieweit ich diese Ziele erreicht oder Stellen zu spät besetzt habe.

Balance zwischen Zeit, Kosten und Qualität

Der Fokus auf Geschwindigkeit alleine bringt nichts. Was hilft es mir im Recruiting schnell zu sein, wenn die Kosten für Stellenausschreibungen, Performance Kampagnen oder Headhunter aus dem Ruder laufen und/oder die Qualität ebenfalls zu wünschen übrig lässt? Rein gar nichts! Aber genau hier liegt der Lösungsansatz:

Szenario 1: Zeit und Kosten im Rahmen, doch schlechte Qualität der Bewerbungen

Mal angenommen die Qualität meiner Bewerbungen ist nicht zufriedenstellend. Kostentechnisch habe ich das Budget aber nicht überschritten und die Time-to-hire ist auch absolut akzeptabel. Dann habe ich natürlich die Möglichkeit entweder noch mehr Geld auszugeben und die Ausschreibung in weitere Kanäle zu schieben oder ich lasse mir insgesamt etwas mehr Zeit bis ich die Stelle besetzen muss. Dies darf natürlich nicht mit meiner Geschwindigkeit während der Candidate Journey verwechselt werden.

Szenario 2: Hohe Kosten, doch akzeptable Qualität in der richtigen Zeit

Die Personen, die du einstellst sind allesamt erste Klasse und das auch noch in der richtigen Zeit. Schade nur, dass es extrem teuer war und weit über dem Budget. Da stellt sich natürlich die Frage, ob vielleicht ein etwas weniger erfahrenes Profil oder ein späterer Zeitpunkt auch gereicht hätte?

Szenario 3: Zu lange Dauer, doch akzeptable Qualität innerhalb des gesetzten Budgets

Die Qualität der Einstellung ist top und das auch noch mit gegebenem Budget. Leider viel zu spät, weil der Bedarf jetzt vielleicht gar nicht mehr da ist. Ist die Besetzung also dringend, braucht es mehr Aufmerksamkeit (durch höhere Werbeausgaben) oder es kann auch vielleicht ein Kandidat sein, der nur 80% erfüllt und sich im Laufe der Zeit noch entwickeln kann.

Fazit

KPIs, die ausschließlich die zeitliche Perspektive betrachten, haben also keine oder nur wenig Aussagekraft über die Qualität einer Stellenbesetzung und den Kostenaufwand, der dahinter steckt. Mein Fazit auf die Eingangsfrage lautet also: Wer nur auf die Zeit schaut, verbessert noch lange nicht seinen Recruitingprozess!

Neben diesem Beitrag findet ihr außerdem zwei weitere aktuelle Artikel zur Time-to-hire von Ute Neher und Tim Verhoeven, die aus einer Diskussion bei Twitter hervorgegangen sind.

Ute warnt in ihrem LinkedIn-Artikel vor Äpfel-Birnen-Vergleiche, wenn es um Benchmarks geht. Tim zeigt in seinem Recruitingnerd-Blog, warum die Time-to-hire je nach Zielgruppe, Region oder Position unterschiedlich bewertet werden muss. Ich lege euch auf jeden Fall beide Artikel ans Herz!

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