Claudia Hartmaier ist Leiterin Personal Holding bei der Franz Haniel & Cie. GmbH in Duisburg, eines der größten Unternehmen Europas und das viertgrößte Familienunternehmen in Deutschland. Eine weibliche Führungskraft im mittleren Management also. “Was ist daran schon besonders? Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.” mag der ein oder andere denken. Falsch gedacht. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte im mittleren Management bei gerade einmal 15%. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass sie bereits weit vor ihrem 30. Geburtstag in Führung gegangen ist, dann wird schnell erkennbar, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, wie man meinen könnte. Demnach ist es wohl wahrscheinlicher, einen Panda im Zoo zu entdecken als eine starke Frau unter 40 im mittleren Management. Doch die Zeiten ändern sich – glücklicherweise. Ich habe mit Claudia über ihren Werdegang, das Arbeiten in einer Investmentholding, ihre Rolle als weibliche Führungskraft und ihren Blick auf HR gesprochen.
Liebe Claudia, beginnen wir das Interview mit einem kleinen Gedankenspiel: Stell dir vor, die junge Claudia von damals würde heute in Kontakt mit HR-Managern kommen. Meinst du, sie würde nach wie vor denselben Beruf wählen? Was meinst du, wie dein beruflicher Weg ausgesehen hätte, wenn du im Jahr 2000 geboren wärst?

Mmmh, lass mich überlegen. Dann würde ich gerade mein Abitur machen und stünde vor der großen Entscheidung, wie es weiter geht. Außerdem wäre ich mit ganz anderen Technologien aufgewachsen und hätte von vielen Dingen bestimmt ein anderes Selbstverständnis. Ich glaube daher nicht, dass ich den gleichen Beruf wählen würde. Vermutlich würde ich Biologie studieren. Das fand ich immer schon spannend. Ganz sicher ist aber, dass ich mich gar nicht so sehr festlegen würde wie damals. Heute sind die Möglichkeiten einfach viel größer, so dass ich einiges ausprobieren und damit experimentieren würde. Denn, wenn ich mir die Zukunft so anschaue, verändern sich nahezu alle Berufsbilder sehr stark und das in einer Geschwindigkeit, an die wir uns erst noch gewöhnen müssen. Ich glaube, nur wenige Abiturienten werden in ihrem späteren Leben das tun, was sie sich heute vorstellen. Auch unser Job in HR wird sich in den nächsten Jahren extrem verändern und ich bin mir sicher, dass ich mir vieles heute noch gar nicht so genau vorstellen kann, was in Zukunft selbstverständlich sein wird.
Du warst lange bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe, dann bei den Stadtwerken Frankfurt und nun bei Haniel in Duisburg. Welche Station oder Erfahrung war besonders prägend für dich?
In jedem Unternehmen lernt man neue Kollegen, neue Personen kennen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften und spannenden Lebensläufen. Besonders finde ich es, wie das Zusammenspiel dieser Charaktere die individuelle Unternehmenskultur und das tägliche Miteinander prägt. Das fasziniert mich immer sehr, besonders deren Entstehung und Entwicklung. Bei den Stadtwerken Frankfurt war die erste Führungsaufgabe als Teamleiterin natürlich sehr prägend für mich. Da habe ich zum ersten Mal erlebt, wie die eigene Arbeitsweise von Mitarbeitern fremdbestimmt wird, aber im positiven Sinne! Man gestaltet seinen Arbeitstag mit Mitarbeitern anders bzw. diese gestalten den eigenen Arbeitsalltag. Ich war es vorher gewohnt meine Termine und Aufgaben für mich zu strukturieren und alleine abzuarbeiten. Und plötzlich kommen Termine von Mitarbeitern herein oder es hieß ich hätte gar keine Zeit für sie. Die neue Strukturierung meines Arbeitsalltages war ein großes Learning für mich. Und es war und ist immer noch eine wunderbare Erfahrung und macht mir viel Spaß mit meinem Team zu arbeiten und mich und das Team weiterzuentwickeln.
Wie wichtig ist es dir persönlich, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass sich Werte wie Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Handeln ganz oben auf die Fahne schreibt?
Wirklich auseinander gesetzt habe ich mich mit dieser Frage tatsächlich erst, seitdem ich bei Haniel arbeite. Vorher war das Thema Nachhaltigkeit in meinem Arbeitsalltag nie wirklich präsent. Diese Aspekte haben in den letzten Jahren allerdings auch in der gesamten Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. So hat sich auch meine persönliche Sichtweise doch sehr verändert. Ich halte es für sehr wichtig, dass Unternehmen einen Fokus auf eine nachhaltige Entwicklung und ein verantwortungsvolles Handeln legen. Es ist aus meiner Sicht die essentielle Grundlage, dass das Unternehmen und die Gesellschaft, in der die Unternehmen agieren, langfristig erfolgreich sind. In der schnelllebigen Zeit in der wir heute Leben und der starken Fokussierung auf den schnellen Gewinn, bleibt das langfristige Bestehen viel zu oft auf der Strecke. Wir sollten uns als Gesellschaft wieder stärker darauf besinnen.
Aber schließt sich das nicht aus, in einer Branche, die man im Volksmund als Heuschrecken bezeichnen könnte? Stehen dort die Renditeziele nicht über allem?
Ja, das Wort „Heuschrecke“ hat ein interessantes Verständnis im Volksmund. Erfreulicherweise ist Haniel wirklich anders! Wir sind weit entfernt von einer „Heuschrecke“ und legen sehr viel Wert darauf im geschäftlichen Handeln als auch in der unternehmerischen Ausrichtung die langjährige Familiengeschichte fortzuführen. Die langfristige Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Werte der Familie, die sogenannte Enkelfähigkeit des Unternehmens. Wir nennen uns daher auch bewusst Family Equity, um uns von Heuschrecken abzugrenzen. Natürlich wollen wir auch einen Gewinn erzielen. Aber nicht indem wir andere „abgrasen“ und „vernichten“. Wir entwickeln unsere Geschäftsbereiche weiter und erzielen dadurch beide einen Gewinn, das jeweilige Unternehmen als auch wir. Für uns ist diese gemeinsame Gewinnerzielung sehr relevant.
Welche Rolle spielt die digitale Transformation bei Haniel? Habt ihr als HR einen Einfluss auf diese Entwicklungen?
Die digitale Transformation ist für uns alle von fundamentaler Bedeutung! Wenn wir es nicht schaffen unsere Geschäftsmodelle in der digitalen Zeit erfolgreich zu gestalten, wird es über kurz oder lang eng. Wir arbeiten daher stark daran, unsere Geschäftsbereiche bei der Transformation der verschiedenen Geschäftsmodelle in eine digitale Welt erfolgreich zu begleiten. Wir haben dazu eine eigene Digitaleinheit namens Schacht One gegründet, um ganz neue Geschäftsideen zu erarbeiten und am Markt zu positionieren. Hier haben wir bereits wirklich tolle neue Ideen an den Start bringen können und arbeiten an ihrer dauerhaften Etablierung. HR spielt bei der digitalen Transformation eine wesentliche Rolle. Nur mit den richtigen Mitarbeitern, besten Arbeitsbedingungen und der Fähigkeit der Mitarbeiter diese Transformation zu gestalten und mitzugehen, wird sie erfolgreich sein. Das ist kein einfacher Weg. Aber wir begleiten und unterstützen auch hier unsere Geschäftsbereiche sehr eng.
Welche Kompetenzen sind dabei für dich unabdingbar? Und noch viel wichtiger: Welches Mindset braucht es deiner Meinung nach, um als HR ein gewichtiges Wörtchen bei der digitalen Transformation mitzureden?
Wie Du in Deiner Frage bereits benannt hast, ist das Mindset das Allerwichtigste und die absolute Grundlage für zukünftigen Erfolg. Nur wenn Mitarbeiter die nötige Offenheit mitbringen und aktiv den Wandel mitgestalten wollen, können und werden sie die notwenigen Kompetenzen erlernen. Als HR versuchen wir ein Umfeld zu schaffen, dass diese Eigenschaften fördert. Die Neugier und Bereitschaft der Mitarbeiter immer wieder Neues auszuprobieren und auch mal zu scheitern und wieder neu anzufangen, wird ausschlaggebend sein. Dasselbe versuche ich auch mit meinem Team umzusetzen und zu leben. Manchmal klappt es sehr gut, z.B. mit unserem digitalen Kanban-Board, das wir zur Aufgabensteuerung und –abstimmung eingeführt haben. Manchmal ist es aber auch schwerer und braucht einfach Zeit, zum Beispiel agile Arbeitsweisen in der Unternehmenskultur zu verankern.
Erzähl doch mal aus dem Nähkästchen. Wie fühlt es sich an als weibliche Führungskraft in einem Unternehmen, dass wie viele andere sonst eher nur männliche Führungskräfte kennt?
Bei meinem Start als Teamleiterin habe ich mir darüber gar keine Gedanken. Nach ein paar Monaten sprach mich eine Mitarbeiterin an, dass ich ihre erste Chefin sei und dann auch noch viel jünger als sie. Und das fand sie gut. Das war der Moment, in dem mir dieser Umstand erst so richtig bewusst wurde. Ich denke heute nicht ständig darüber nach, aber ja, es ist manchmal schon eine andere Rolle. Die Kollegen gehen mit mir als Frau anders um als mit ihren männlichen Kollegen. Vielleicht gar nicht bewusst, aber es ist doch oft interessant zu beobachten. Und vielleicht muss man sich das eine oder andere Mal doch etwas mehr durchsetzen und die „männlichen Spielregeln“ aktiv spielen, um seinen Platz in der männlichen Riege zu festigen. Und Fußballwissen ist auch heute noch sehr wichtig – gerade hier im Ruhrgebiet. 😉
Wie beurteilst du Bewegungen und Initiativen, wie Female Future Force, Global Digital Woman oder den Equal Pay Day? Nimmst du sie wahr oder beteiligst du dich an ihnen?
Tatsächlich habe ich mich bisher noch nicht aktiv an diesen Initiativen beteiligt, aber das kommt bestimmt noch. Ich begrüße diese Entwicklungen sehr und halte sie für extrem wichtig. Als Frau kann ich dieses Engagement nur begrüßen. So erhalten Themen einen besonderen Fokus, die eigentlich selbstverständlich sein sollten und es in der Realität aber noch nicht sind. Auch die männlichen Kollegen sind gezwungen sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Wir haben in unserer Gesellschaft schon Vieles erreicht, haben aber auch noch Einiges vor uns.
Liebe Claudia, ich danke dir für die spannenden Insights und bedanke mich für das Interview. Ich freue mich in Zukunft auch weiterhin von dir zu hören!