Bundeswehr nutzt Meldedaten von Minderjährigen für Personalmarketing

Bereits vor knapp zwei Jahren habe ich einen Beitrag über das Personalmarketing der Bundeswehr geschrieben und aufgezeigt, warum das Recruiting der Bundeswehr alles andere als ein menschenrechtliches Vorbild ist. Sie setzt nämlich alle verfügbaren Mittel ein, um gezielt Minderjährige über den eigentlichen Aufklärungsauftrag hinaus anzuwerben und bereits in jungen Jahren für die Sache der Bundeswehr zu gewinnen.

An der Lage hat sich seitdem nicht viel verändert. Ganz im Gegenteil. In dieser Woche haben viele Jugendliche unerwartet Post von der Bundeswehr bekommen. Vor Jahren war das natürlich ein völlig normaler Vorgang, wenn junge Männer mit 16 oder 17 Jahren die Einladung zur Musterung erhalten haben. Da es die Wehrpflicht allerdings in der Form allerdings nicht mehr gibt und der Grundwehrdienst ausgesetzt ist, ist das für junge Menschen auf jeden Fall ungewöhnlich von der Bundeswehr Post zu erhalten. Wie viele Werbebriefe versandt wurden, ist nicht bekannt.

Was steht drin?

Die Vorderseite der Postkarte ist personalisiert und der Nachname des jeweiligen Empfängers bzw. der jeweiligen Empfängerin ist abgedruckt. Auf Rückseite steht dann folgender Text, der am Ende mit einem personalisierten Link zu einer Landingpage der Bundeswehr führt:

Hi [Vorname],

bestimmt hast du die aktuelle Situation um das Covid-19-Virus intensiv verfolgt. Gerade in dieser Schwierigen Zeit unterstützt die Bundeswehr mit ihren Frauen und Männern in Uniform und in Zivil die deutsche Bevölkerung mit allen Kräften. Mach dir selbst ein Bild von den vielfältigen Aufgaben von den vielfältigen Aufgaben in den Streitkräften – zum Beispiel im freiwilligen Wehrdienst. Informiere dich unter bundeswehrkarriere.de/VIP/[VOrname]

Habe ich etwas verpasst? Die Bundeswehr unterstützt die deutsche Bevölkerung mit ALLEN Kräften? Ist das dieselbe Bundeswehr, die sich gerade darum bemüht hat, 15.000 Liter Feierabendbier zu sichern? Fakt ist: Die Bundeswehr hat aktuell ein Kontingent von rund 15.000 der insgesamt 184.000 Soldatinnen und Soldaten für die Unterstützung während der Coronakrise abgestellt. Das sind nicht alle, sondern lediglich etwas mehr als 8%. Unabhängig davon finde ich es befremdlich, die Coronakrise als Vorwand bei jungen Menschen zu nutzen, um seine Werbebotschaft emotional aufzuladen und für sich als Arbeitgeber zu werben. Andererseits ist es nicht relevant, wie die Postkarte bei mir ankommt, sondern wie die Zielgruppe die Werbemaßnahme findet. Hier ein Paar Eindrücke:

Woher kennt die Bundeswehr überhaupt das Alter und den Wohnort der Empfänger?

Die Antwort lautet: von den Meldeämtern. Rechtliche Grundlage ist das Soldatengesetz (SG). Denn gemäß § 58 c Absatz 1 des Soldatengesetzes übermitteln die Meldebehörden dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr jährlich bis zum 31. März folgende Daten zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die im nächsten Jahr volljährig werden:

  1. Familienname
  2. Vornamen
  3. gegenwärtige Anschrift.

Der Zweck der Datenerhebung ist der Versand von Informationsmaterial, um über die Tätigkeit von Streitkräften zu informieren. Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hat die Daten zu löschen, wenn die Betroffenen dies verlangen, spätestens jedoch nach Ablauf eines Jahres nach der erstmaligen Speicherung der Daten beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr. Das Soldatengesetz wird zudem durch das Bundesmeldegesetz (BMG) eingeschränkt. Dort heißt es nämlich in §36 Absatz 2 Satz 1: „Eine Datenübermittlung nach § 58c Absatz 1 Satz 1 des Soldatengesetzes ist nur zulässig, soweit die betroffene Person nicht widersprochen hat.“

In Zeiten in denen es die Wehrpflicht ausgesetzt ist und ganz Europa mit der DSGVO den Datenschutz auf ein neues Level gebracht hat, ist das der absolute Wahnsinn. Die Bundeswehr erhält somit einen automatischen Opt-Out für alle deutschen 16- und 17-jährigen frei Haus per Gesetz. Von echtem Wettbewerb um junge Talente kann ja da wohl keine Rede sein. Der Rest von Deutschland muss sich hingegen an die Gesetzgebung der DSGVO halten und selbst bei kleineren Verstößen massive Geldbußen befürchten.

Möglichkeit des Widerspruchs

Viele Städte informieren ihre Bürger durch öffentliche Bekanntmachungen auf ihren Internetseiten oder in einmal jährlich erscheinenden Amtsblättern über die Möglichkeit der Datenübermittlung nach § 58c Abs. 1 Soldatengesetz (SG) an das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr zu widersprechen. Hand auf’s Herz: Wer hat zuletzt in einem Amtsblatt nach öffentlichen Bekanntmachungen nach Widerspruchsmöglichkeiten geschaut? Richtig! Niemand.

Positive Beispiele für die halbwegs transparente Information via Webseite sind u.a. Hamburg, Bielefeld oder Salzwedel. Grundsätzlich gilt aber: Sobald die städtischen Behörden einen solchen Widerspruch erhalten, wird dieser im Melderegister vermerkt.

Eltern müssen in diesem Kontext übrigens nicht ihre Zustimmung erteilen. Denn Personen zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr üben ihre Meldepflicht persönlich aus. Sie sind zwar nur beschränkt geschäftsfähig, aber dafür uneingeschränkt meldepflichtig.

Unlauterer Wettbewerb im Azubimarketing

Die Bundeswehr befindet sich ebenso wie Tausende andere Unternehmen auch in einem Wettbewerb um junge Talente. Durch die aktuelle gesetzliche Regelung verschafft sich die Bundeswehr allerdings einen Wettbewerbsvorteil im Azubimarketing, den andere Unternehmen niemals erreichen können. Auf der einen Seite ist es für Werbetreibende schier unmöglich, eine Mailingliste zu generieren oder zu beziehen, die alle 16- und 17-jährigen deutschen Staatsbürger ohne Ausnahme mit hundertprozentig korrekter Adresse enthält. Auf der anderen Seite hätten vergleichbare Ziellisten mit der entsprechenden Datenqualität einen so hohen Marktwert, dass sich nur die größten Unternehmen diese leisten könnten. Die Bundeswehr wiederum erhält sie gratis – per Gesetz.

Angepasste Gesetzgebung erforderlich

Das Personalmarketing der Bundeswehr zielt also weiter ganz legal auf Minderjährige ab. Aus menschenrechtlicher Perspektive bleibt das Verhalten der Bundeswehr Deutschland weiterhin moralisch mehr als bedenklich. Sie handelt nichtsdestotrotz gesetzeskonform. Es bleibt dennoch fraglich, mit welcher Berechtigung der Gesetzgeber der Bundeswehr auch nach Aussetzen der Wehrpflicht und nach Einführung der DSGVO ein so weitreichendes Gesetz einräumt und gleichzeitig die Datenschutzrechte von Minderjährigen für den Zweck des Personalmarketings der Bundeswehr schlechter stellt. Eine Gleichstellung von 16- und 17-jährigen ist daher nur mit einer veränderten Gesetzgebung möglich.

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